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UMSATZSTEUER – Betriebsstätte versus „feste Niederlassung“?

Der Betriebsstättenbegriff im Sinne einer „festen Niederlassung“ ist für eine korrekte Leistungsbesteuerung im Umsatzsteuerrecht von wesentlicher Bedeutung. Wird er falsch interpretiert, kann dies weitreichende umsatzsteuerliche Folgen haben (zB für Lagergeschäfte, passive Grundstücksleistungen, Reverse Charge). Umso problematischer ist es, dass die Beurteilung nicht immer mit absoluter Gewissheit erfolgen kann, was naturgemäß Rechtsunsicherheit und oftmals auch Unmut mit sich bringt. Dass künftig nicht mit einer Vereinfachung zu rechnen ist, zeigen aktuelle Tendenzen in der Rechtsprechung. Im nachfolgenden Beitrag möchten wir kurz und verständlich aufzeigen, welche Kriterien derzeit maßgeblich sind und wohin künftig die Reise gehen könnte.  

Evolution des umsatzsteuerrechtlichen Betriebsstättenbegriffs

Definition nach innerstaatlichem Recht

Bevor der Begriff der „festen Niederlassung“ einheitlich für die Europäische Union geregelt wurde, war in Österreich die Betriebsstättendefinition gemäß § 29 BAO auch für umsatzsteuerliche Zwecke maßgebend. Nach dieser nationalen Bestimmung ist jede feste örtliche Anlage oder Einrichtung, die der Ausübung eines Gewerbebetriebes dienlich ist (insbesondere auch Zweigniederlassungen, Fabrikationsstätten und Warenlager) als Betriebsstätte im Sinne der Abgabenvorschriften, somit auch für die Umsatzsteuer, anzusehen. 

Definition nach EU-Recht 

Im Jahr 2011 wurde seitens der EU-Kommission der Begriff der umsatzsteuerlichen Betriebsstätte im Sinne einer festen Niederlassung einheitlich definiert. Gemäß Artikel 11 der „Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem“ (nachfolgend kurz „EU-DVO“ genannt) wird bei Vorliegen aller folgenden Voraussetzungen eine „feste Niederlassung“ begründet: 

  • Es darf sich NICHT um den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit handeln.
  • Die Niederlassung muss einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweisen,
  • die ausreichend personell und technisch ausgestattet ist,
  • um selbstständig Dienstleistungen zu erbringen/für den eigenen Bedarf empfangen zu können. 

Diese Definition ist für alle EU-Mitgliedstaaten rechtsverbindlich, zumal die maßgebliche EU-DVO auch ohne konkrete Umsetzung in nationales Recht unmittelbar anwendbar ist. Vor diesem Hintergrund werden für die Begründung einer festen Niederlassung also sowohl Personal als auch Sachmittel benötigt. Das Vorhandensein dieser zwei sich ergänzenden Kriterien stellt wohl den wichtigsten Unterschied zur nationalen BAO-Regelung dar, die in der Umsatzsteuerpraxis daher nur noch vereinzelt bei Sonderfragen von Relevanz ist (wie etwa betreffend Finanzamtszuständigkeit oder Haftung gemäß § 27 Abs 4 UStG). 

Auch in Österreich ist für die Kriterienprüfung für eine „feste Niederlassung“ daher die EU-DVO der zentrale Anknüpfungspunkt bei der Beurteilung umsatzsteuerlicher Sachverhalte. Diese sich aus dem Stufenbau der Rechtsordnung ergebende Selbstverständlichkeit wird auch in den Umsatzsteuerrichtlinien mehrfach betont (vgl UStR Rz 639c, Rz 2601b und seit den Quickfixes auch Rz 3691).

Ungeachtet dessen gibt es in der gelebten Praxis der Abgabenbehörden aber davon eine Ausnahme, wenn es nämlich um die Bestimmung von umsatzsteuerlichen Bau- oder Montagebetriebsstätten ausländischer Unternehmerin Österreich geht. Hiefür wird im Regelfall die Begründung einer festen Niederlassung dann angenommen, wenn die Bauausführungen länger als zwölf Monate dauern.

Dies mit der Begründung, dass dann von einer – vom Europäischen Gerichtshof geforderten – beständigen Struktur ausgegangen werden kann. Tatsächlich ist diese Vorgangsweise bzw Begründung aber der Versuch einer Annäherung an die ertragsteuerliche Betriebsstätte, weil dies praxistauglicher erscheint als eine nicht administrierbare Doppelgleisigkeit verschiedener Begriffswelten. 

Neue Wege der Interpretation 

In den vergangenen Jahren war in der umsatzsteuerlichen Rechtsprechung zur festen Niederlassung eine gewisse Tendenz zur Annäherung an das Ertragsteuerrecht, in Hinblick auf die Erfüllung der Kriterien zur Begründung einer umsatzsteuerrechtlichen Betriebsstätte, durchaus erkennbar. Konkret wird in manchen Sachverhaltskonstellationen die in der EU-DVO geforderte Voraussetzung betreffend die vorhandenen personellen Mittel nicht als kumulativer gesetzlicher Erfüllungstatbestand gesehen.  

In Deutschland wurde etwa von den Gerichten entschieden, dass die Voraussetzung der personellen Ausstattung auch dann erfüllt ist, wenn das Personal nicht ständig vor Ort ist. So können beispielsweise Windräder nicht nur eine ertragsteuerliche sondern auch eine umsatzsteuerliche Betriebsstätte darstellen. Im Jahr 2012 wurde vom österreichischen UFS noch entschieden, dass ein Server ohne jegliche Personalmittel keine umsatzsteuerliche Betriebsstätte begründet.

Im Jahr 2014 ließ der Europäische Gerichtshof die Beantwortung einer ähnlichen Frage in der Rs Welmory (C-605/12) offen. Er wies jedoch darauf hin, dass jedenfalls die Sachmittel in dem Mitgliedstaat gelegen sein müssen, um eine umsatzsteuerliche Betriebsstätte begründen zu können. Nunmehr wagte das österreichische Bundesfinanzgericht einen Vorstoß und ersuchte den EuGH um die Beantwortung der Vorlagefrage, ob die reine Vermietung einer Liegenschaft (passive Duldungsleistung) auch ohne jegliche personelle Ausstattung eine feste Niederlassung begründen kann (BFG 20.12.2019, RE/710002/2019).

Anlass zu dieser Vermutung gaben zuletzt auch die Aussagen des EU-Mehrwertsteuerausschusses in seinem Arbeitspapier (Nr 968, taxud.c.1(2019)3533969) zur Umsetzung der Quickfixes, wonach ein Lager in der Verfügungsgewalt des Lieferanten eine feste Niederlassung desselben darstellen kann und dadurch die Vereinfachungsregelung für Konsignationslagergeschäfte unanwendbar wird. 

Aktuelle Situation und Ausblick 

Sofern die personelle Ausstattung keine zwingende Voraussetzung für die Begründung einer umsatzsteuerlichen Betriebsstätte mehr darstellen sollte, hätte dies weitreichende Folgen: 

Lagergeschäfte würden bereits dann zu einer „festen Niederlassung“ der Lieferanten führen, sobald diese die umsatzsteuerliche Verfügungsmacht über die Lagerflächen haben. Eine vereinfachte Konsignationslagerregelung wäre diesfalls ausgeschlossen. Passivleistungen unterschiedlichster Art iZm Grundstücken könnten ebenfalls eine umsatzsteuerliche Ansässigkeit begründen und somit zu einem erhöhten administrativen Aufwand führen.

Und natürlich wären insbesondere auch Baustellen genau unter die Lupe zu nehmen, wenn es auf eine autonome Entscheidungsbefugnis des vorhandenen Personals nicht mehr ankommt. Bei all diesen denkbaren Szenarien wäre die Abrechnung in einem Reverse Charge-Verfahren für ausländische Unternehmer ausgeschlossen, sofern die feste Niederlassung in die Leistungserbringung eingebunden ist. Zusätzlich wäre eine Leistungsortverlagerung für zugekaufte Dienstleistungen vorprogrammiert (B2B-Grundregelleistungen; Art. 44 RL 2006/112/EG). 

Alle diese Szenarien sind derzeit jedoch bloß Spekulation bzw liegen bis dato dazu lediglich Einzelfallentscheidungen vor, die von der allgemeinen Linie der EU-DVO abweichen können. Bis zu einer (hoffentlich baldigen und erhellenden) Klärung durch den EuGH muss daher die „feste Niederlassung“ im umsatzsteuerlichen Sinn anhand der bisherigen Kriterien bzw grundsätzlich losgelöst von einer ertragsteuerlichen „Betriebsstätte“ beurteilt werden.

Demgemäß ist das kumulative Vorhandensein von Personal- UND Sachmitteln, durch die bzw mit denen Leistungen erbracht oder für den eigenen Bedarf empfangen werden können, nach wie vor das zentrale Entscheidungskriterium. Ein gewisser Grad an Unsicherheit bleibt daher bis auf Weiteres bestehen.

FAZIT

Die Definition der EU-DVO ist maßgebend für die Entscheidung, ob für umsatzsteuerliche Zwecke eine „feste Niederlassung“ dem Grunde nach vorliegt. Nach geltender Rechtslage sollte daher ein Warenlager grundsätzlich KEINE umsatzsteuerliche Betriebsstätte begründen. Jedoch ist eine im Gang befindliche Annäherung an die Definition der ertragsteuerlichen „Betriebsstätte“ nicht von der Hand zu weisen. Es ist daher unbedingt erforderlich, die künftige Rechtsprechung genau zu beobachten, um ggfs rechtzeitig mit entsprechenden Maßnahmen darauf reagieren zu können. 

Für Fragen stehen Ihnen die Verfasser sowie auch die übrigen MitarbeiterInnen der Service Line „Indirect Tax & Customs“ gerne zur Verfügung!

Verfasser:

Zum Autor:

Mag. Günther PLATZER Steuerberater, Partner und Head of Indirect Tax & Customsbei der ICON Wirtschaftstreuhand GmbH in Linz.



Steuerberater
Partner, Head of Indirect Tax & Customs

Zur Autorin:

Karin SCHMIDTHALER, LL.B Assistant Tax bei der ICON Wirtschaftstreuhand GmbH in Linz.



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